Handwerkskammer Aachen - Jahresbericht 2022 Statistik + Bedeutung des regionalen Handwerks
Ein Jahr des Umbruchs
Zwiegespalten: Kaum ein Wort beschreibt besser die Stimmungslage des regionalen Handwerks. Auf der einen Seite atmeten viele Betriebe Anfang vergangenen Jahres auf, als die schwersten Folgen der Flutkatastrophe beseitigt waren und sich zudem bei der Coronapandemie mit den Lieferkettenproblemen eine Stabilisierung abzeichnete. Auf der anderen Seite waren der 24. Februar und die sich daraus erwachsene Krise eine Zäsur für viele Unternehmen.
Selten zuvor waren die Zahlen einer Konjunkturumfrage so rot wie im Herbst 2022. Nichtsdestotrotz erwies sich das Handwerk als die Stütze der Wirtschaft und als Treiber der Integration von Geflüchteten. Viele Jugendliche der ersten großen Flüchtlingswelle ab 2015 haben hierzulande eine neue Heimat und im Handwerk ihre Berufung gefunden. Viele sind inzwischen Gesellen und auf dem Weg zum Meistertitel, der nach wie vor das verbriefte Versprechen für hochwertige Leistungen ist. Ein Gütesiegel, dessen Bedeutung auch Bundeskanzler Olaf Scholz vor wenigen Monaten hervorhob. Und in seiner hohen Meinung vom Meisterbrief ist er nicht allein, was die weiterhin hohe Zahl von neuen Meisterinnen und Meistern in unserem Kammerbezirk bezeugt.
Um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern, braucht das Handwerk dringend weitere Fachkräfte. Das wird aber nur mit einer Bildungswende gelingen, durch die akademische und berufliche Bildung endlich die gleiche Wertschätzung erfährt. Hier haben wir im vergangenen Jahr viel erreicht. Es ist aber immer noch Luft nach oben. Viele dieser Entwicklungen lassen sich in den nachfolgenden Statistiken auf dieser Seite ablesen. Den statistischen Teil bieten wir Ihnen auch als Broschüre Daten, Zahlen, Fakten hier zum Download an.
Den ausführlichen Jahresbericht finden Sie unter www.hwk-aachen.de/jahresbericht-2022.
Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre.
Überblick Handwerksbetriebe
Das Handwerk bleibt die Stütze der regionalen Wirtschaft in der StädteRegion Aachen sowie den Kreisen Düren, Euskirchen und Heinsberg. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der weiterhin wachsenden Zahl von Handwerksbetrieben. Während Ende 2021 exakt 17.263 Betriebe in der Handwerksrolle eingetragen waren, zählte die Statistik zum letzten Jahreswechsel 17.436 Unternehmen, ein Plus von einem Prozentpunkt. Das resultiert aus einem großen Gründergeist: Mit 1.799 Neueintragungen registrierte die Handwerkskammer Aachen einen über neunprozentigen Anstieg. Dem stehen 1.626 Geschäftsaufgaben gegenüber. Den größten Nettozuwachs (Verhältnis Neugründung zu Betriebsaufgabe) gab es absolut und prozentual im Kreis Euskirchen (65), was einem Zuwachs von 2,1 Prozent entspricht.
Die traditionell stärksten Branchen sind die Bau- und Ausbaugewerke, zu denen neben den Maurern und Betonbauern bspw. auch die Dachdecker, Maler oder Tischler zählen. Die zweitgrößte Gruppe stellen die Berufe aus dem Bereich Metall und Elektro. Darunter fallen unter anderem auch die Feinwerkmechaniker oder Schilder- und Lichtreklamehersteller.
Die Handwerksordnung kennt drei Gruppen: 53 zulassungspflichtige Handwerke (Anlage A), 42 Handwerke sind als zulassungsfreie Handwerke in der Anlage B1 zusammengefasst. Die 51 handwerksähnlichen Gewerbe sind in der Anlage B2 aufgeführt und können ebenfalls ohne Qualifikationsnachweis selbstständig betriebenwerden.
Frühjahrs-Konjunktur-Daten
Das vergangene Winterhalbjahr ist trotz der Energiekrise, der anhaltend hohen Inflation, den weiterhin vorhandenen Lieferkettenproblemen und den politischen Unsicherheiten für das regionale Handwerk besser verlaufen, als die Herbstumfrage 2022 erwarten ließ. Zum Umfrageschluss Ende März 2023 bezeichneten 84 Prozent der Betriebe ihre Geschäftslage als „gut“ oder „befriedigend“.
Auf den ersten Blick muss die Aussage überraschen, da 37 Prozent der hiesigen Handwerksunternehmen in den vergangenen sechs Monaten trotz steigender Preise für die Endkunden Umsatzrückgänge zu verkraften hatten. Aber Handwerkerinnen und Handwerker planen langfristig und trotzen kurzfristigen Renditerückgängen.
Positiv präsentierte sich der Arbeitsmarkt: 71 Prozent der Betriebe verzeichneten im vergangenen halben Jahr stabile Beschäftigungszahlen, bei zwölf Prozent gab es Personalzuwächse. In den Zahlen zeigt sich: Das Handwerk ist auch in Zeiten der wirtschaftlichen Unsicherheit und der digitalen Umwälzungen ein verlässlicher Arbeitgeber.
Gefragt nach ihren Erwartungen für das kommende Sommerhalbjahr zeichnen die Handwerksbetriebe überwiegend ein optimistisches Bild. Drei Viertel rechnen mit besseren oder zumindest gleichbleibenden Geschäften. Das ist besser als im Herbst 2022 prognostiziert.
Lehrlinge
Der Wettbewerb um Azubis von morgen wird immer intensiver: Sowohl der demografische Wandel als auch die weiterhin vorherrschende Akademisierung der Gesellschaft hinterlassen entsprechend ihre Spuren in den Ausbildungszahlen – und das nicht nur im Handwerk. Im vergangenen Jahr begannen 2.061 (zumeist junge) Personen eine duale Handwerksausbildung im Kammerbezirk Aachen. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet das einen Rückgang um genau 100 Verträge, und im Vergleich zum Jahr 2000 beträgt das Minus bei den neuen Lehrverträgen etwa 35 Prozent.
Dieser Entwicklung treten die Handwerkskammer und die Betriebe mit zahlreichen Maßnahmen entgegen: So soll mit der bundesweiten Handwerkskampagne verstärkt Aufmerksamkeit für die gesellschaftsrelevanten Aufgaben im Handwerk geschaffen werden. In zahlreichen Presse- und Fernsehberichten werden Leuchtturmprojekte vorgestellt. Und viele Unternehmen nutzen unlängst Social Media, um die junge Generation anzusprechen.
Die Jahresstatistik 2022 zeigt auch, dass das Handwerk der Integrationsmotor der Region ist. Knapp elf Prozent aller Azubis hatten einen ausländischen Pass, und hier hat es im Zuge der Flüchtlingswelle seit 2015 eine tiefgreifende Veränderung gegeben. Inzwischen kommen die meisten ausländischen Auszubildenden aus Syrien, gefolgt von Afghanistan und Irak. Die Türkei folgt auf Platz vier.
Auch in der Liste der beliebtesten Ausbildungsberufe spiegelt sich die Energiewende wider. Zwar konnte der Kraftfahrzeugmechatroniker seine Spitzenposition verteidigen, dahinter folgen mit dem Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik sowie dem Elektroniker zwei Berufe, die für den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft immer wichtiger werden. Und damit zeigt sich einmal mehr: Handwerkerinnen und Handwerker sind hauptberufliche Klimaschützer.
Insgesamt beschäftigten die 2.373 Ausbildungsbetriebe im Kammerbezirk Ende vergangenen Jahres 5.614 Azubis, wovon knapp 15 Prozent Frauen waren. Damit bewegte sich der Anteil weiblicher Auszubildender in etwa auf dem Niveau der Vorjahre. Um noch mehr Frauen für das Handwerk zu gewinnen, intensiviert die Handwerkskammer Aachen in diesem Jahr die Initiative „Frauen im Handwerk“.
Meister
Der Meistertitel ist und bleibt das Karriereziel für die meisten Handwerkerinnen und Handwerker. Denn der Meisterbrief ist zum einen für Verbraucher das verlässliche Qualitätskriterium für eine ausgezeichnete Ausbildung der beauftragten Handwerksbetriebe, und zum anderen ebnet er den Gesellinnen und Gesellen den Weg in eine zukunftssichere Karriere mit niedrigeren Arbeitslosenquoten als bei Akademikern.
Darüber hinaus ist der Meisterbrief die Voraussetzung zur Ausbildung von Lehrlingen. Im vergangenen Jahr beendeten 266 Personen im Kammerbezirk erfolgreich ihre Meisterausbildung, was einer Bestehensquote von 89 Prozent entsprach. Gut elf Prozent der neuen Meister waren Frauen, womit sich der Wert ungefähr auf dem Niveau der Vorjahre bewegte.
Da der Meistertitel in vielen Gewerken die Voraussetzung für eine Selbstständigkeit ist, beginnen viele Handwerkerinnen und Handwerker bereits nach wenigen Gesellenjahren ihre Meisterschule. Entsprechend sind gut 31 Prozent der neuen Meister sogar jünger als 25 Jahre. Etwa 38 Prozent sind 26 bis 30 Jahre alt. Nur ganz wenige sind älter als 40 Jahre. Einmal mehr stellten die Kfz-Techniker die größte Gruppe der neuen Meister (121), da am Standort Aachen auch die bundesweite Ausbildung der Bundeswehr für diesen Bereich stattfindet.
Fortbildungsprüfungen
„Lebenslanges Lernen“ – diese Maxime gilt auch und gerade im Handwerk. Denn neue Technologien, veränderte Werkstoffe und neue (gesellschaftliche) Anforderungen stellen die Handwerkerinnen und Handwerker ständig vor neue Herausforderungen. Um diese zu bewältigen, bietet die Handwerkskammer Aachen neben der Meisterausbildung noch viele weitere berufliche Fortbildungsmöglichkeiten. Die bekanntesten sind der Kfz-Servicetechniker, Fachwirt und der Betriebswirt nach der Handwerksordnung.
Gewerbliche Fortbildungen sind häufig auf neue Tätigkeits- bzw. Technologiefelder (erneuerbare Energien, Gebäudemanagement, Automatisierungstechnik) oder auf spezielle Handwerkstechniken ausgerichtet. Darüber hinaus können sich Handwerkerinnen und Handwerker auch in berufsübergreifenden Themen weiterqualifizieren.
Hierzu zählen zum Beispiel der kaufmännische Bereich oder auch das Gebiet der IT-Anwendung und -technik. Um die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung voranzutreiben, wurden im Berufsbildungsmodernisierungsgesetz drei Fortbildungsstufen oberhalb der Ausbildungsebene verankert: Berufsspezialist, Bachelor Professional (z. B. Meister) und Master Professional.
Die notwendigen Prüfungen werden in der Regel durch ein dreiköpfiges, praxiserfahrenes Prüfungsgremium abgenommen. Somit sind die zusätzlichen Fortbildungstitel ein verlässliches Qualitätskriterium.
Haushalt der Kammer
Um eine fachgerechte Interessenvertretung für die Mitgliedsbetriebe und deren Mitarbeitende sowie die immer anspruchsvoller werdende gewerblich-technische Aus- und Weiterbildung an fünf Standorten im ganzen Kammerbezirk zu leisten, braucht die Handwerkskammer Aachen eine umfangreiche Gebäude- und Maschineninfrastruktur sowie gut qualifiziertes Personal. Dafür muss die Handwerkskammer Aachen gemanagt werden wie ein großer mittelständischer Betrieb – mit den Sonderaufgaben einer Körperschaft des öffentlichen Rechts.
Insgesamt beschäftigt die Kammer 215 Personen, wovon 40 Prozent Frauen sind. Wie in fast allen Unternehmen mit überwiegend Büroarbeitsplätzen hat sich durch die Coronapandemie auch die Arbeitsweise der HWK-Angestellten verändert: Durch einen deutlich ausgebauten Anteil von Heimarbeit konnte zunächst während der Pandemie der reguläre Betrieb ohne größere Beeinträchtigungen aufrechterhalten werden, und inzwischen ist diese Flexibilisierung der Arbeit auch zum wichtigen Aspekt einer attraktiven Arbeitgebermarke geworden. Denn die Kammer steht wie alle Firmen im intensiven Wettbewerb um motivierte Fachkräfte, um auch künftig alle Serviceleistungen in der gewohnten Qualität erbringen zu können.
Etwa ein Viertel der Ausgaben der Kammer floss 2022 in die Modernisierung der Bildungsstätten, um diese auf dem neuesten technischen Stand zu halten und die Lernbedingungen für die Auszubildenden und Teilnehmenden an den Meisterschulen weiter zu verbessern.