News 06.04.2023Türen öffnen für den Neustart
„Handwerk im Hafthaus“ verbessert Zugang von Haftentlassenen in den Arbeitsmarkt.
Von Peter Dohmen und Doris Kinkel-Schlachter
Heinsberg. Staatsurkundenfälschung und Kfz-Betrug: Pascal senkt den Kopf, als er kurz ausführt, warum er einsitzt. Seit einem Jahr und sechs Monaten ist der 20-Jährige in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Heinsberg inhaftiert. Wegen guter Führung hat er die Aussicht, früher entlassen zu werden, sodass er den Sommer wahrscheinlich schon wieder in Freiheit genießen darf.
Beruflich gesehen ist jetzt schon alles unter Dach und Fach. Der junge Mann aus Wesel ist sehr interessiert am Beruf des Betriebsschlossers, absolviert in mehreren Bausteinen Schweißscheine in der JVA-Werkstatt und hat dank Unterstützung von Thomas Nyhsen auch schon den Arbeitsvertrag unterschrieben. Am 3. Juli fängt er in einem Steinwerk am Niederrhein an. Nyhsen ist der Koordinator des Projektes „Handwerk im Hafthaus“.
Dieses Pilotprojekt haben der Westdeutsche Handwerkskammertag (WHKT) und das Ministerium der Justiz NRW unter Beteiligung der Handwerkskammer Aachen und der JVA Heinsberg initiiert. Das Ziel besteht unter anderem darin, die berufliche Qualifizierung von straffälligen Jugendlichen für den Arbeitsmarkt besser sichtbar zu machen und die jungen Männer bei ihrem Zugang zu Betrieben zu unterstützen.
Anders als in Vollzugsanstalten für Erwachsene sind in der Heinsberger Justizvollzugsanstalt ausschließlich Straftäter im Alter von 14 bis 24 Jahren inhaftiert. Jugendliche, die gerade erst am Anfang ihres Lebens stehen und eigentlich zur Schule gehen oder eine Ausbildung absolvieren sollten.
Der Gesetzgeber ist sich bei jugendlichen Straftätern der Tatsache bewusst, dass diese sich noch in der Entwicklungsphase befinden. Im Unterschied zu den meisten Erwachsenen lassen sie sich auch durch äußere Faktoren häufig noch in ihrer Entwicklung beeinflussen. Deshalb achten die Gerichte darauf, gerade jugendlichen Menschen, die mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind, während der Haftzeit intensive erzieherische Angebote zu ermöglichen.
„Die berufliche Qualifizierung von jugendlichen Gefangenen in der JVA Heinsberg findet auf einem hohen Niveau statt. Sie lernen dort, dass Fachkompetenz, handwerkliches Können, Teamfähigkeit und Zuverlässigkeit wesentliche Erfolgsfaktoren sind. Daher sehe ich auch für ehemalige Inhaftierte, die diese Eigenschaften mitbringen, gute berufliche Perspektiven im Handwerk.“
Marco Herwartz, Präsident der Handwerkskammer Aachen
„Dieser Förder- und Erziehungsauftrag des Jugendstrafvollzuges wird insbesondere durch schulische und berufliche Bildung und eine zielgerichtete Beschäftigung der Gefangenen verwirklicht“, sagt Jochen Käbisch, Leiter der Vollzugsanstalt. „Unsere Anstalt bietet den Gefangenen umfassende sozialpädagogische, schulische und berufliche Möglichkeiten. Unser gemeinsames Ziel ist es, die jungen Menschen so weit zu bringen, dass sie nach ihrer Entlassung auf eigenen Beinen stehen können und möglichst nicht mehr straffällig werden.“
Neben psychologischer Betreuung gibt es beispielsweise Beratungen in den Bereichen Suchtprävention, Anti-Gewalt, Bewerbungstrainings oder sozialpädagogische Angebote. Mehr als 50 Ausbilderinnen und Ausbilder kümmern sich um die berufliche Entwicklung der jungen Männer während der Haftzeit.
Am Anfang steht dabei die Berufsorientierung. Die zurzeit rund 320 Inhaftierten können in praktischen Erprobungen selbst entdecken, welches der zahlreichen Qualifizierungsangebote ihnen liegt. Die JVA Heinsberg bietet in vielen Handwerksberufen eine Ausbildungsvorbereitung auf Grundlage von Qualifizierungsbausteinen an, sodass Betriebe nicht nur Mitarbeiter, sondern auch vorqualifizierte Auszubildende gewinnen können.
Eine duale Ausbildung ermöglicht die JVA als Hochbaufacharbeiter, die um zwölf Monate weitergeführt werden kann, sodass der Auszubildende dann den Gesellenbrief als Maurer in der Tasche hätte. Auch die Ausbildung zum Maler und Lackierer ist möglich. Im Fachbereich Metall werden Kräfte für Metalltechnik mit der Fachrichtung Montagetechnik und Industriemechaniker mit Schwerpunkt Maschinen- und Anlagenbauer ausgebildet. In den Ausbildungshallen und -werkstätten, die in der JVA „Betriebe“ heißen, stehen hierfür moderne Anlagen und Maschinen, professionelles Werkzeug und Fachkompetenz des Ausbildungspersonals zur Verfügung.
Neben den beschriebenen dualen Ausbildungen bietet die Anstalt ihren Gefangenen Teilqualifizierungen aus den Berufen Bodenleger, Dachdecker, Fliesen-, Platten- und Mosaikleger, Fachlageristen, Garten- und Landschaftsbauer, Straßenbauer, in der Hauswirtschaft, als Gebäudereiniger, Küchenhelfer, Tischler, Schweißer oder Gabelstaplerfahrer sowie Grundbildungen in den Bereichen Mechanik/Technik (Kfz) und Metall/Kunststoff an.
„Junge Inhaftierte haben eine zweite Chance verdient. Wir haben nicht nur als Handwerkskammer, sondern auch als Gesellschaft die Verantwortung, sie bei ihrem Weg zurück in ein normales Leben zu unterstützen.“
Felix Kendziora, Vizepräsident der Handwerkskammer Aachen
Es gibt insgesamt 40 Plätze in der dualen Berufsausbildung der JVA Heinsberg. Und es werden laut Peter Lipperts auch 40 Jugendliche und junge Erwachsene pro Jahr im Kammerbezirk Aachen entlassen. „Wir erhoffen uns, dass durch das Projekt ‚Handwerk im Hafthaus‘ eine Vielzahl von erfolgreichen Vermittlungen in die Handwerksbetriebe erfolgen und dass wir dadurch dem Fachkräftemangel etwas entgegenwirken können, somit hätte man eine Win-win-Situation“, sagt der Koordinator berufliche und schulische Bildung. „Wir holen die Jungs da ab, wo sie stehen“, ergänzt Jörg Winkens. Damit meint der Leiter des Werkdienstes die intensive und individuelle Betreuung der Gefangenen.
Diese Betreuung hat auch Fabian erfahren. Körperverletzung hat der 23-Jährige zu verantworten und ist deshalb ebenfalls seit fast anderthalb Jahren inhaftiert. Noch gut ein halbes Jahr muss er seine Strafe „absitzen“, eine vorzeitige Entlassung sei möglich. Auch er hat die Teilqualifizierungen zum Schweißer absolviert. „Metall liegt mir mehr“, sagt der Euskirchener, der vor Ausbruch der Corona-Pandemie eine Ausbildung zum Koch angefangen, dann jedoch abgebrochen hatte. „Es ist gut, dass ich hier ganz andere Perspektiven bekomme“, weiß Fabian.
Worauf sollten Betriebsinhaber achten, wenn sie einen Haftentlassenen einstellen?
Während der Haftzeit leben Inhaftierte nach einem streng vorgebebenen Tagesablauf, der neben der Unterbringung im Haftraum auch Möglichkeiten der sozialen Entwicklung wie beispielsweise durch pädagogische und psychologische Angebote, aber auch Sport und natürlich feste Zeiten für die berufliche Qualifizierung bzw. für die Arbeit in den Werkstätten der Vollzugsanstalten beinhaltet. Der feste Tagesablauf gibt den Gefangenen eine Struktur, die sie häufig aus ihrem vorherigen Leben nicht kennen. Deshalb ist es wichtig, dass Arbeitgeber Haftentlassenen eine ähnliche Struktur als Orientierungsrahmen anbieten können. Hilfreich sind hier in der ersten Zeit nach der Entlassung beispielsweise möglichst feste Arbeitszeiten, aber auch eine Ansprechperson im Betrieb.
Kann man sich einen persönlichen Eindruck von den Ausbildungseinrichtungen in der Haftanstalt verschaffen?
Im Rahmen des Projekts „Handwerk im Hafthaus“ können und sollen Betriebe und deren Beschäftigte die Werkstätten in der JVA Heinsberg besichtigen und hier auch mit Gefangenen und Ausbildungspersonal ins Gespräch kommen. Kontakt: www.handwerk-im-hafthaus.de
Für weitere Informationen zu „Handwerk im Hafthaus“ wenden sich Interessierte an:
Hauptgeschäftsführer
Tel. +49 241 471-114
Fax +49 241 471-103
Werkstatt-Tage am 19./20. April
Mit den Werkstatt-Tagen am 19./20. April öffnet die JVA Heinsberg ihre Werkstätten für Inhaberinnen und Inhaber sowie Ausbildungspersonal von Betrieben, die sich einen persönlichen Eindruck von der beruflichen Vorbereitung und Qualifizierung im Justizvollzug verschaffen möchten. Zur Anmeldung mit Terminauswahl sowie weiteren Informationen über die Werkstätten und Berufe gelangen Interessierte über die Website www.handwerk-im-hafthaus.de.